Richtung Phoenix, 28.01.2022
Es ist befreiend, wieder unterwegs zu sein und die Irritationen abzufahren. Die Landschaft ist mehr oder weniger gleichbleibend: trockenes Wüstengewächs und Saguaros, die diese überragen. Die Strasse eben, ab und zu eine kleine Welle, durch ein trockenes Bachbett verursacht. Vor Fluten wird regelmässig gewarnt. Schwer vorstellbar, aber wenn es den mal regnen sollte, dann würden wohl die Niedrigungen geflutet, weil der Boden nichts halten kann. Die Campingplätze, besser RV Parks ( Recreational Vehicel) sind weniger geworden, ab und zu wird ein Stück Land zum Verkauf angeboten, sogar auf ein projektiertes Altersheim in der Pampa wird hingewiesen. Die "Snowbirds" als Wirtschaftsfaktor. Ich möchte gerne wissen, wieviele Menschen alljährlich im Winter in den Süden ziehen. Ich schätze sie mittlerweilen auf Millionen. Regelmässig tauchen Plakate auf Kirchenveranstaltungen und Heilsbotschaften auf, Jesus vergibt Dir Deine Sünden u.s.
Die paar Tage Quartzsite kamen zu einem seltsamen Abschluss. Gayle, sanftmütiger Rentner aus Nebraska, mit dem ich mich ein paar Mal getroffen hatte, hat bis anhin seine Worte sorgfältig abgewogen. Nicht so gestern, nach dem zweiten oder war es das dritte Bier? Er erklärt mir, dass die Vizepräsidentin als Prostituierte Karriere gemacht, dass Bill Gates einerseits an der Menschheit verdienen, sie aber gleichzeitig dezimieren will.- Mein Platznachbar fragt mich, ob ich nachts irgendwelche Leute um sein Wohnmobil hätte streichen sehen. Er hätte in Mississipi eine bewaffnete Auseinandersetzung gehabt und fühle sich seither verfolgt.- Ich könnte noch weitere Beispiele aufführen. Skurrille Überzeugungen scheinen Allgemeingut zu sein. Ich komme zum vorläufigen Schluss, dass ich dieses Land, in dem mir Vieles vertraut, sogar unheimlich vertraut ist, fremd geworden ist, dass ich es neu kennenlernen muss. Die vielbeschriebene Kluft zwischen den Leuten scheint tiefer und breiter als vorgestellt. Es brodelt unter der freundlichen Oberfläche. Ich bin gespannt, ob ich in den kommenden Wochen ein besseres Verständnis entwickeln werde.
Ich habe den ersten Platten überhaupt auf einer Fahrradtour. Der Salome Highway ist auf einmal zur Naturstrasse geworden und ich habe einen Stachel gefasst. Ich sollte alles dabei haben, meinte ich zumindest. Der Pneu lässt sich mit dem Löffel lösen, nur die Kleblösung, die ist unauffindbar. Versuche ohne Erfolg zu improvisieren. Dann halt schieben, hätte schlimmer kommen können, ich befinde mich ca.12 km vor der nächsten Ortschaft. Im Pneushop in Tonopah AZ will man vorerst gar nichts von meinem Plattfuss wissen, da beschäftigt man sich mit zerfetzten Lastwagenpneus. Nachdem ich das Rad demontiert und den Schlauch herausgelöst habe, repariert der Mech, ein spiegelbebrillter, cooler Latino das Teil lässig und sorgfältigst und gibt mir das Flickzeug gleich mit.
Noch kurz: ich bin heute in Phoenix angekommen, stelle das Velo bei Sallie ein und gehe wandern. Sallie ist ein Trailangel, war auf der Arizona Trail homepage aufgeführt und hat sich anerboten, mich morgen nach Tortilla Flat zu fahren. Der Ort liegt nicht am Trail, aber der Name ist so klangvoll, dort werde ich beginnen.
Die Trailangel: ein tolles, typisch amerikanisches Phänomen. Aus Begeisterung oder Verbundenheit zum Trail unterstützen Freiwillige die Wanderer. Sie fahren sie zum Einkaufen, bieten manchmal Unterkunft an oder deponieren Wasser und Naschereien unterwegs. Ich bin gespannt, was ich antreffe, die Saison beginnt eigentlich erst in einem Monat. Ich werde dem Wanderweg nach Süden folgen, soweit es geht, bis schneebedeckte Berge auftauchen oder ein Platten.
Und, Tortillas begegnet? Viel Freude weiterhin! Macht echt Spaß, deinen Blog zu lesen.
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